Sa, 05. April 2008, 08:30 - 15:00 Uhr

Gemeinsame Hauptversammlung FF Erfurt und Delegiertenkonferenz Stadtfeuerwehrverband

Thüringer Allgemeine vom 07. April 2008:

 

Stehende Ovationen

Stadtfeuerwehrverband zeichnete amtierenden Berufsfeuerwehrchef Manfred Schmidt aus
Sporthalle Marbach, Samstagmittag.

Alle anwesenden Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehren der Stadt, das gesamte Präsidium, die Gäste erheben sich von ihren Plätzen und spenden stehend Applaus. Er gilt Manfred Schmidt, dem verdienstvollen und überaus beliebten amtierenden Berufsfeuerwehrchef, der heute seinen Chefsessel für den äußerst umstrittenen neuen und auch alten Amtsleiter Tobias Bauer räumen muss.

Von Michael KELLER

MARBACH.

Ein einmaliger Vorgang im doppelten Sinne. Noch nie gab es bei der Feuerwehr Standing Ovations für einen der Ihren, noch nie gab es aber auch eine solche Zerreißprobe um einen rational kaum nachvollziehbaren Amtswechsel (TA berichtete ausführlich). Ausnahmslos alle Redner bei der erstmals gemeinsam mit der Delegiertenkonferenz des Stadtfeuerwehrverbandes durchgeführten Hauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehren versicherten dem ins Abseits gedrängten Chef des Amtes 37 ihre Wertschätzung.

Schmidt hatte in der Vergangenheit schon mehrfach die Geschicke der Erfurter Berufsfeuerwehr geführt und muss nun weichen. Ein für Lars Oschmann, den Mann an der Spitze des Landesfeuerwehrverbandes, ganz normaler Vorgang. Schließlich hätte das Verwaltungsgericht eindeutig entschieden. Auf die Frage, warum der neue Feuerwehrchef nicht erschienen sei, erklärte Oschmann, er habe ihn aus Gründen der Deeskalation an seiner Stelle zum Kreisfeuerwehrverband Saale-Holzland-Kreis geschickt. Rücktritts- und Versetzungsdrohungen würden den Bürger nur verunsichern und dem Ansehen der Feuerwehr schaden, so der Verbandschef.

Es gelte jetzt vielmehr, den Blick nach vorn zu richten und die beeindruckende Bilanz der Erfurter Berufsfeuerwehr fortzusetzen. Dietrich Hagemann, Erfurts Beigeordneter für Bürgerservice und Sicherheit, machte in dem Zusammenhang auch keinen Hehl daraus, dass man künftig sehr aufmerksam die Entwicklung der Berufsfeuerwehr registrieren werde. Der hervorragende Stand in der Arbeit des Amtes 37 sei der Maßstab, an dem man in Zukunft alles messen werde, ergänzte Karin Landherr, Fraktionschefin der Partei Die Linke, bevor Manfred Schmidt für sein Engagement mit der Verdienstmedaille des Stadtfeuerwehrverbandes in Gold geehrt wurde.

Die Bilanz der Freiwilligen Feuerwehren braucht sich aber ebensowenig verstecken. 666 Aktive, darunter 96 Frauen, tun derzeit ihren Dienst in den 24 Wehren der Landeshauptstadt. 250 junge Blauröcke im Kindes- und Jugendalter arbeiten an ihrer späteren Karriere als Feuerwehrmann bzw. -frau. Insgesamt zählen die Freiwilligen Feuerwehren mit den Alters- und Ehrenabteilungen 1150 Mitglieder, wie Stadtbrandinspektor Rene Seegel resümierte. 554 Mal wurden sie im Vorjahr zu Hilfseinsätzen z.B. nach Unfällen gerufen, 321 Mal zu Bränden. Macht unterm Strich ein Plus gegenüber 2006 von 361 Einsätzen. Folge der verstärkten Einbindung der Feuerwehr-Amateure bei den Einsätzen der Profis.

Besonders im Januar 2007, als Orkan Kyrill durchs Land tobte, konnten sich alle Erfurter Feuerwehren auszeichnen. 576 Kräfte, das sind zwei Drittel aller Einsatzabteilungen, waren seinerzeit bei 394 Einsätzen in drei Tagen auf Achse. 64 Mal mussten die Freiwilligen 2007 zu Unfällen ausrücken, 165 Mal absturzgefährdete Teile entfernen. 314 Mal wurden sie gerufen, um Sturmschäden, 96 Mal, um Wasserschäden zu beseitigen. 69 Ölspuren waren abzudecken, rund 400 Kleinbrände und ein Großbrand (Kurhaus Hochheim) zu löschen. Allerdings wurde auch erneut in 22 Fällen böswilliger Alarm ausgelöst. Komplettiert wird die Bilanz mit 381 Brandsicherheitswachen.

Unterm Strich kamen so 6063 Dienststunden in der Freizeit zusammen. Anhand des exemplarischen Beispiels einer Nachwuchs-Feuerwehrfrau aus Bischleben rechnete Stadtverbandschef Jörg Fehling zudem 44 Ausbildungstage vor. Ohne die Freiwilligen, so seine Schlussfolgerung, bräuchte Erfurt 180 zusätzliche Berufsfeuerwehrleute und vier neue Wachen. Ein unbezahlbarer Luxus, der die extreme Wichtigkeit der Freiwilligen Ein- satzkräfte deutlich macht.

Die auch nicht mit Kritik sparten. Es fehlt z. B. an ausreichend Schutzkleidung und Geld für Ehrungen, seit zwei Jahren fällt der Brandschutzunterricht in den Grundschulen aus, die Fahrzeugflotte ist veraltet. Auch mit Eigenkritik wurde nicht gespart. Von 666 Kameraden sind derzeit nur 170 für den Einsatz mit Atemschutzgeräten tauglich. Und, es mangelt vor allem an Nachwuchs. 2020 würden bei der jetzigen Entwicklung über die Hälfte aller Freiwilligen Feuerwehrleute über 50 Jahre alt sein. Grund genug, sich um Nachwuchs zu kümmern, so die eindringliche Mahnung.